Werner Schuster: „Zeit für großen Titel ist gekommen“

Vor dem Saison-Auftakt spricht Bundestrainer Werner Schuster beiskispringen.com über die Zielsetzungen für den Olympia-Winter. Seinen Athleten traut er Großes zu, von Martin Schmitt verlangt er eine Leistungssteigerung.

Selten startete die Mannschaft von Bundestrainer Werner Schuster mit so viel Zuversicht in eine neue Saison. Nicht nur der Gesamtsieger des Sommer-Grand-Prix, Andreas Wellinger, machte zuletzt auf sich aufmerksam, auch die anderen Athleten sammelten in den vergangenen Monaten viel Selbstvertrauen. Einzig die Verletzung von Richard Freitag dürfte dem Bundestrainer Sorgen bereiten.

Im Gespräch mit skispringen.com-Redakteur Marco Ries spricht Werner Schuster über die Zielsetzungen für den Olympia-Winter, die Situtation von Martin Schmitt, die Rückkehr von Janne Ahonen und der Rolle der Jury.

Herr Schuster, wenige Wochen vor dem Saisonstart gab es eine schlechte Nachricht aus dem deutschen Lager: Richard Freitag wird den Start der Olympia-Saison verletzungsbedingt verpassen. Wie schwer trifft Sie sein Ausfall?

Werner Schuster: Es ist sehr schade, dass er uns zum Saisonstart nicht zur Verfügung steht, nachdem er ein sehr gutes Training absolviert hat. Es gibt die Perspektive, dass er bis zur Vierschanzentournee ins Team zurückkehrt und spätestens bis Sotschi die Rolle spielen kann, die ihm zusteht. Wenn er wieder springen darf, kann ich mir vorstellen, dass er sich schnell wieder in einer guten Form befindet, da er sich über den Sommer eine gute Substanz erarbeitet hat.

Mit welchem Gefühl starten Sie in Ihre zweite Olympia-Saison in Diensten des Deutschen Skiverbandes?

Schuster: Ich habe ein gutes Gefühl, uns stehen mittlerweile mehrere Optionen im Team zur Verfügung. Neben Severin Freund und Richard Freitag haben wir auch Andreas Wellinger, der sich auf einem guten Weg befindet. Michael Neumayer ist nach der letzt jährigen Saison wieder gut in Schuss – er hat zwar im Moment noch nicht seine absolute Topform, aber ein 34-jähriger Sportler weiß sich einzuschätzen und mit seiner Routine wird er den Trainingsrückstand wettmachen, um dann wieder eine gute Rolle zu spielen. Als Mannschaftsspringer ist er ohnehin unverzichtbar, er ist wichtig für das Team und erfährt jetzt die Wertschätzung, die ihm früher gefehlt hat, als er sich immer hinter Uhrmann und Schmitt anstellen musste. Andreas Wank wird mit 110 Prozent Einsatz um seinen Platz im Team kämpfen und kann Top-10-Platzierungen erreichen. Wir stehen auf mehreren Säulen, haben auch mit Karl Geiger einen jungen Springer, der wie Andreas Wellinger im letzten Jahr zur Mannschaft gestoßen  ist und sich auch weiterentwickelt hat – Karl könnte auch für eine Überraschung sorgen. Marinus Kraus, ein Springer aus dem B-Kader, symbolisiert, dass wir die Durchlässigkeit von unten nach oben geschaffen haben. Wenn ich da ein paar Jahre zurückdenke, war man froh, wenn man einen hochgezogen hat und der dann die Quali im Weltcup geschafft hat. Im Sommer haben wir gesehen, dass es darum ging, wie viele Punkte er macht. Richard Freitag werden wir brauchen, wenn wir um die Spitze mitreden wollen, die kleinen Wehwehchen werden wir auch in den Griff bekommen. Dann könnte das eine spannende Saison werden.

Auch Martin Schmitt möchte im kommenden Winter eine Rolle in Ihrem Team spielen.

Schuster: Martin Schmitt ist entschlossen, sich einen persönlichen Traum zu erfüllen: Er will nach Sotschi. Wir haben im Sommer einen Plan vereinbart, dass er nicht mehr mit der Mannschaft zu allen Lehrgängen fährt, sondern er bekommt Unterstützung im athletischen und im Materialbereich, er durfte seinen eigenen Weg gehen mit seinen 35 Jahren und seiner Routine. Er hat sich auf die Wettkämpfe in Asien und bei den deutschen Meisterschaften vorbereitet. Das Zwischenfazit lautet: weder Fisch noch Fleisch. Er war nicht schlecht, aber auch nicht so stark, dass man nicht an ihm vorbeikäme. Im Moment ist der Leistungsstand nicht so, dass er den Sprung ins Weltcup-Team zum Saisonstart schaffen könnte. Er wird beim Weltcup-Auftakt daher auch nicht dabei sein, denn Maximilian Mechler wird zu Beginn Richard Freitag ersetzen. Martin wird seine Chance suchen und er wird sie auch bekommen. Er muss sich leistungsmäßig aber noch verbessern. Er kann es mit seiner Routine schaffen, aber er muss noch einmal den Weg über den Continenalcup nehmen und sich stabilisieren – und dann werden wir sehen, ob er sich für die Vierschanzentournee anbieten kann. Da haben wir mehr Startplätze, die Tür ist offen. Wir sind transparent, es geht mehr denn je um Leistung. Wir haben unser System Schritt für Schritt verbessert und es gebietet das Leistungsprinzip und die Fairness, unsere Sportler an den gleichen Maßstäben zu messen. Man kann mit Martin gut diskutieren und er sieht die Situation sehr realistisch. Ich respektiere seinen Willen und stelle die Rahmenbedingungen zur Verfügung – Springen muss dann er.

Wer hat die Entscheidung getroffen, dass er an den Lehrgängen in der Regel nicht teilnehmen wird? War es Ihre Entscheidung oder haben Sie sich gemeinsam entschieden?

Schuster: Die haben wir gemeinsam getroffen. Es ist auch klar, dass er mit seinen 35 Jahren nicht das gleiche Training absolviert wie der 18-jährige Andreas Wellinger. Michael Neumayer ist in der Vorbereitung heuer ähnlich gefahren und geht ab und zu auch seinen eigenen Weg. Das muss man einem erfahrenen Sportler zugestehen, dafür haben wir Platz in unserem System.

Beste Chancen auf einen Start dürfte er also bei der Vierschanzentournee haben. Schicken Sie dort wieder die nationale Gruppe an den Start?

Schuster: Genau, das machen wir in Oberstdorf und in Garmisch-Partenkirchen. Bis Engelberg vor der Tournee haben wir sieben Plätze, dann müssen wir wieder einen Platz über den Continentalcup für die Vierschanzentournee erkämpfen. Im schlechteren Fall haben wir zwölf Plätze, also sechs plus sechs, im besseren Fall haben wir sechs plus sieben, also 13 Plätze in Oberstdorf und Garmisch.

Andreas Wellinger sagt, dass er sich mit dem Schanzenprofil in Sotschi bislang noch nicht anfreunden konnte und ihm andere Anlagen besser liegen. Gibt es im Team andere Athleten, denen die Schanze entgegen kommt?

Schuster: (lacht) Wir können hoffnungsvoll in die Zukunft schauen, denn er ist letztes Jahr auf einer nicht geliebten Schanze Zweiter geworden. Daher sind die Aussichten durchaus positiv.

Erstmals findet der Weltcup-Auftakt nicht im Norden Finnlands oder in Norwegen statt, sondern direkt in Mitteleuropa: Im heimischen Klingenthal starten die Athleten in den Olympia-Winter. Wie wichtig ist dieser Auftakt für die deutsche Mannschaft?

Schuster: Das ist reisetechnisch sehr hilfreich für uns, aber es bringt auf der anderen Seite mit sich, dass medial mehr für die Sportler mehr zu tun und die Erwartungshaltung eine andere ist. Das ist aber das kleinere Übel. Das größere war, weit zu reisen und dann auf eine Schanze zu kommen, wo man nie trainieren kann – auch wenn wir in Kuusamo die letzten Jahre auch ganz gut gestartet sind. Aber zu Hause zu springen, mit dem Auto anzureisen und insgesamt mehr Dinge beeinflussen oder kontrollieren zu können, ist gut. In den letzten Jahren mussten wir uns in Klingenthal oft hinten anstellen, doch letztes Jahr haben wir mit Freund einen Sieg gemacht, dieses Jahr mit Andreas Wellinger. Das Publikum ist fantastisch, es werden vermutlich 15.000 Leute oder noch mehr kommen. Für die Region ist es ein toller Vertrauensbeweis, dass sie das Springen erhalten haben.

Mit Olympia steht nun das Ende eines Zyklus’ an und es wird abgerechnet. Bei der WM in Val di Fiemme haben Sie gesagt: Wenn nicht jetzt, dann bei Olympia. Möchten Sie nun zeigen, dass die Mannschaft einen weiteren Schritt nach vorne gemacht hat?

Schuster: Ja, natürlich, aber es ist nicht nur Olympia. Es ist Vierschanzentournee, Olympia und danach noch Skiflug-WM, und es gibt auch noch einen Gesamtweltcupsieger. Ich sehe das bis 2015: Val di Fiemme, Sotschi, Falun. Wir sind jetzt in der Lage, mit dieser jungen Mannschaft Erfolge feiern zu können. Nachdem wir zuletzt eine Einzelmedaille versäumt haben, wollen wir das heuer schaffen. Aber es wird ein hartes Stück Arbeit, zu den besten drei Springern zu gehören. Es ist Zeit für einen großen Titel. Dafür haben wir mehrere Optionen. Olympia ist natürlich das wichtigste Ereignis. Doch gerade im Skispringen, in diesen Schnellkraft- und technisch-koordinativen Sportarten, ist es schwer die optimale Form auf ein Event hin zu timen. Das gelingt nur sehr, sehr selten. Es sind so viele Faktoren, die da eine Rolle spielen, deshalb muss man diese Schritt-für-Schritt-Taktik anwenden. Ein guter Start hilft, um das Selbstverständnis aufzubauen, die Tournee hilft ebenso. Es ist noch genug Zeit, sich bis Mitte Februar  in Form zu bringen. Ich hoffe, dass mindestens einer unserer Sportler das optimale Timing erwischt, dass er diesen Schritt aus der Reihe hervortritt und sich den Lohn abholt.

Janne Ahonen ist zum zweiten Mal zum Skispringen zurückgekehrt. Was trauen Sie dem Finnen im kommenden Winter zu?

Schuster: Ahonen ist ein guter Abspringer, hat eine ordentliche Grundtechnik und springt nach wie vor zeitgemäß. Speziell bei der Vierschanzentournee sehe ich ihn als gefährlichen Gegner. Nichtsdestotrotz sage ich ganz frech: Wenn es der internationalen Skisprungwelt nicht gelingt, drei junge Sportler zu entwickeln – da sind wir gefordert, die Österreicher, Slowenen, Polen und alle anderen – die besser sind als Janne Ahonen, dann würde mich das schon sehr überraschen.

In Klingenthal möchte die FIS die neue Weitenmarkierung erstmals zum Einsatz bringen. Wie stehen Sie dazu?

Schuster: Ich sehe das als notwendigen, überfälligen Schritt. Man hat in den letzten Jahren einiges verändert, man hat die Gate-Regel eingeführt, um die Springen durchzubringen, man hat zusätzlich eingeführt, dass der Trainer verkürzen kann – das hat man jetzt abgeschwächt mit der 95-Prozent-Regel. Davon war ich nie ein großer Freund, die Jury verfügt definitiv über die Erfahrung hier die Verantwortung zu übernehmen. Die Jury beobachtet ausschließlich das Wettkampfgeschehen, den Verlauf, während wir Trainer unsere Athleten coachen. Wir versuchen damit umzugehen und das Beste daraus zu machen. Der Fernsehzuschauer war bislang ganz gut informiert, aber speziell für die Zuschauer vor Ort sollte es nun transparenter werden. Skispringen ist als Live-Event unglaublich wertvoll: Wenn ich vom letzten Jahr die Bilder aus Oberstdorf vom Auftakt der Vierschanzentournee sehe, das war für mich als Coach das schönste Springen, das ich jemals erlebt habe. Wenn 24.000 Leute die deutsche Fahne in der Hand haben und jubeln, wenn ein eigener Athlet aufs Podest kommt. Diese Leute haben es verdient, dass sie einfach wissen, was hier vorgeht.

Herzlichen Dank für das Gespräch, viel Erfolg im kommenden Winter!

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