Fragen & Antworten

Manipulationsskandal: FIS erhebt Anklage gegen Norweger - was bedeutet das?

Foto: imago / GEPA

Die FIS erhebt Anklage gegen Lindvik, Forfang und drei norwegische Betreuer, doch viele Fragen rund um den Manipulationsskandal sind noch offen. skispringen.com erklÀrt, was nun passiert und wie es weitergeht.

Was ist passiert?

Der Internationale Skiverband (FIS) hat neben den beiden Skispringern Marius Lindvik und Johann Andre Forfang auch den ehemaligen Cheftrainer Magnus Brevig, Assistenztrainer Thomas Lobben und Servicetechniker Adrian Livelten angeklagt. Die drei Betreuer arbeiteten zur Zeit der VorwĂŒrfe im norwegischen Nationalteam, wurden aber inzwischen entlassen und sind nicht mehr fĂŒr den Verband tĂ€tig.

Die FĂ€lle werden nun zur Entscheidung an die FIS-Ethikkomitee (FEC) weitergeleitet, das ĂŒber die weiteren Sanktionen entscheidet.

Was genau wirft die FIS vor?

Im Kern geht es um mutmaßliche VerstĂ¶ĂŸe gegen den „FIS Universal Code of Ethics“ und die „FIS Rules on the Prevention of Manipulation of Competitions“. Laut der FIS stehen die Anschuldigungen im Zusammenhang mit der gezielten VerĂ€nderung von SkisprunganzĂŒgen bei der Nordischen Ski-WM in Trondheim. Der Vorwurf lautet, dass diese Änderungen den Athleten einen unerlaubten Vorteil verschaffen sollten.

Im Vorfeld der Großschanzen-Entscheidung bei den TitelkĂ€mpfen in Trondheim war ein Video aufgetaucht, das Manipulationen an den norwegischen SprunganzĂŒgen zeigen sollte. Die spĂ€tere MaterialprĂŒfung durch die FIS) bestĂ€tigte den Verdacht – die Gastgeber hatten ihre AnzĂŒge an den NĂ€hten mit einem laut Reglement verbotenen Band verstĂ€rkt, um mehr StabilitĂ€t und damit grĂ¶ĂŸere Sprungweiten zu erzielen.

Wie lief die Untersuchung ab?

Unmittelbar nach den ersten VorwĂŒrfen begann die unabhĂ€ngige Ethik- and Compliance-Abteilung der FIS (IECO) mit den Ermittlungen. Die Untersuchung war umfangreich: Insgesamt wurden 38 Zeugen vernommen, darunter Athleten, Trainer, Techniker und FunktionĂ€re. Zudem werteten die Ermittler 88 BeweisstĂŒcke aus. Die zentralen Fragen lauteten: Haben Trainer oder Techniker die Manipulation geplant und umgesetzt? Wussten Lindvik und Forfang davon? Waren weitere Teammitglieder oder andere Nationen beteiligt? Gab es Ă€hnliche VerstĂ¶ĂŸe in der Vergangenheit?

Zu welchem Ergebnis kam die FIS?

Das IECO sowie die IntegritĂ€tsabteilung der FIS sahen genĂŒgend Anhaltspunkte fĂŒr eine Anklage gegen Brevig, Lobben und Livelten. Der FIS-Vorstand entschied zudem, dass auch Lindvik und Forfang vor das Ethikkomitee der FIS (FEC) gestellt werden.

Gegen alle weiteren Personen, die im Zuge der Ermittlungen ins Blickfeld geraten waren, stellte die FIS die Verfahren ein – Kristoffer Eriksen Sundal, Robin Pedersen sowie der inzwischen zurĂŒckgetretene Robert Johansson wurden also freigesprochen. In ihrer Mitteilung betonte die FIS: „Alle Angelegenheiten in Bezug auf alle anderen Personen, die mit dieser Untersuchung in Verbindung stehen, sind abgeschlossen.“

Wie reagiert der norwegische Skiverband ?

Der norwegische Verband stellt sich demonstrativ hinter seine beiden Athleten. PrĂ€sidentin Tove Moe Dyrhaug erklĂ€rte: „Der norwegische Skiverband distanziert sich deutlich von jeder Form von Betrug oder Manipulation. Wir wollen ein Vorbild fĂŒr Fairplay sein. Ich möchte betonen, dass wir weiterhin volles Vertrauen in die ErklĂ€rungen von Lindvik und Forfang haben und dass sie von der Manipulation der SkisprunganzĂŒge nichts wussten.“

Der fĂŒr das Skispringen zustĂ€ndige Sportdirektor Jan-Erik Aalbu ergĂ€nzte: „Wir haben unseren Athleten zugehört und glauben ihnen, wenn sie sagen, dass sie von der Manipulation der AnzĂŒge nichts wussten. Es gibt keine Beweise dafĂŒr, dass sie von der Manipulation wussten, die durchgefĂŒhrt wurde. Deshalb sind wir mit der EinschĂ€tzung von FIS nicht einverstanden, respektieren aber den Prozess.“

Was sagt die Beweislage zu den Athleten?

Dazu hat sich die FIS in ihrer offiziellen Stellungnahme bislang nicht eindeutig geĂ€ußert. Der norwegische Skiverband teilte allerdings mit, dass das von der FIS mit der Untersuchung beauftragte Unternehmen Quest in London keine Erkenntnisse darĂŒber erlangt hĂ€tte, dass Lindvik und Forfang von den Manipulationen gewusst hĂ€tten.

„Wir hatten eine konstruktive Zusammenarbeit mit FIS und dem unabhĂ€ngigen Ermittler. Gleichzeitig halten wir daran fest, dass es falsch ist, gegen die Athleten vorzugehen. Wir erkennen an, dass FIS eine andere Meinung hat und die Sache verfolgen will, und nehmen das zur Kenntnis“, sagte der kommissarische GeneralsekretĂ€r Ola Keul.

Wie geht es nun weiter?

Die FĂ€lle liegen jetzt beim FIS-Ethikkomitee (FEC). Dieses setzt ein dreiköpfiges unabhĂ€ngiges Panel ein, das den Ablauf des Verfahrens festlegt. Dabei kann es sich sowohl um schriftliche Eingaben als auch um mĂŒndliche Anhörungen handeln. SpĂ€testens 30 Tage nach Abschluss der Anhörung muss eine Entscheidung vorliegen.

Welche Strafen drohen?

Das FEC kann unterschiedliche Sanktionen verhĂ€ngen, darunter Sperren, Geldstrafen oder die Aberkennung von Ergebnissen. Sollte es zu einer Sperre kommen, beginnt diese mit dem Tag der Veröffentlichung der Entscheidung. Eine VerkĂŒrzung ist möglich, wenn bereits eine vorlĂ€ufige Suspendierung bestand, wie es bei Lindvik und Forfang im Anschluss an die WM im MĂ€rz der Fall war.

Werden weitere Ergebnisse oder Medaillen aberkannt?

Prinzipiell hĂ€tte das FEC die Möglichkeit, weitere Ergebnisse der norwegischen Skispringer zu annullieren – etwa die Goldmedaille von Marius Lindvik auf der Normalschanze. In diesem Fall wĂŒrde Andreas Wellinger, eigentlich Gewinner der Silbermedaille, nachtrĂ€glich zum Weltmeister gekĂŒrt werden.

Der norwegische Rundfunksender ‚NRK‘ berichtet am Montag allerdings, dass der FIS-Vorstand dem Ethikkomitee lediglich eine dreimonatige Suspendierung sowie eine Geldstrafe empfohlen habe – dass weitere Ergebnisse aberkannt werden, scheint zu diesem Zeitpunkt daher eher unwahrscheinlich.

Sind die Athleten aktuell gesperrt?

Nein. Weder Lindvik noch Forfang wurden bislang fĂŒr WettkĂ€mpfe ausgeschlossen. Beide können auch im Rahmen des am vergangenen Wochenende gestarteten Sommer-Grand-Prix weiterhin an den Start gehen – zumindest solange, bis das FIS-Ethikkomitee sein Urteil gefĂ€llt hat.

Können sich die Angeklagten wehren?

Ja. Sollte das Ethikkomitee Strafen verhÀngen, können sowohl die Betroffenen als auch die FIS selbst den Fall vor den Internationalen Sportgerichtshof CAS bringen.

Der norwegische Skiverband hat diese Möglichkeit in seiner eigenen Stellungnahme am Montag auch bereits in ErwÀgung gezogen.

Was ist mit den drei ehemaligen Trainern und Betreuern?

Die VertrĂ€ge von Brevig, Lobben und Livelten wurden bereits vom norwegischen Verband beendet. Ola Keul, kommissarischer GeneralsekretĂ€r des norwegischen Verbandes, sagte: „Es ĂŒberrascht nicht, dass FIS gegen diese drei vorgeht, angesichts der eingestandenen VorfĂ€lle. Aber das ist nun eine Angelegenheit zwischen ihnen und FIS. Der norwegische Skiverband ist nicht Partei in dieser Sache.“

Laut einem Bericht von ‚TV2‘ empfiehlt der FIS-Vorstand, die betroffenen Trainer bzw. Betreuer fĂŒr 18 Monate zu sperren – das wĂŒrde dann auch fĂŒr den Fall gelten, dass sie bei anderen VerbĂ€nden tĂ€tig werden. Dazu will die FIS ihnen laut Medienbericht auch die entstandenen Rechtskosten auferlegen.

Wie transparent ist der Untersuchungsbericht?

Der vollstĂ€ndige Bericht liegt ausschließlich dem FIS-IntegritĂ€tsdirektor vor. Der FIS-Vorstand erhielt eine gekĂŒrzte Fassung sowie eine mĂŒndliche Zusammenfassung. Die Beschuldigten bekamen nur jene Passagen, die fĂŒr ihre FĂ€lle relevant sind. Andere Beteiligte haben die Möglichkeit, sich die Ergebnisse mĂŒndlich erlĂ€utern zu lassen.

Wann ist mit einem endgĂŒltigen Urteil zu rechnen?

Ein genaues Datum gibt es noch nicht. ZunĂ€chst muss das FIS-Ethikkomitee (FEC) einen Termin fĂŒr die Anhörung festlegen. Sobald diese durchgefĂŒhrt ist, hat das zustĂ€ndige dreiköpfige Panel maximal 30 Tage Zeit, um eine Entscheidung zu fĂ€llen. Je nach Terminierung der Anhörung könnte ein Urteil also innerhalb einiger Wochen vorliegen.

Spricht das FEC die Angeklagten schuldig, wird die Entscheidung nach vorheriger Benachrichtigung der Betroffenen spĂ€testens 20 Tage nach ihrer Bekanntgabe vollstĂ€ndig öffentlich bekannt gegeben – doch auch dann könnten sie noch vor den CAS ziehen, was das Verfahren weiter in die LĂ€nge ziehen wĂŒrde.

Auch interessant: Das als Folge des Manipulationsskandals eingefĂŒhrte neue Regelwerk sorgt schon vor dem Start des Sommer-Grand-Prix in Courchevel fĂŒr Schlagzeilen – zahlreiche Athleten werden schon im Vorfeld disqualifiziert. 

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