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Clas Brede Braathen: "Es gibt kein sportliches Argument, die Frauen nicht von der Großschanze springen zu lassen"

Foto: GEPA

Bekommen die Frauen einen Großschanzen-Wettkampf bei der WM 2021? Norwegens Sportdirektor Clas Brede Braathen vertritt im Interview mit skispringen.com eine klare Meinung.

Der norwegische Skiverband gilt als Vorreiter in Sachen Gleichberechtigung und führte zu Beginn der Saison 2019/2020 das “Equal Pay“, also identische Gehälter für Skispringerinnen und Skispringer ein. Vor dem Frauen-Weltcup in Oberstdorf mehrten sich Berichte in den norwegischen Medien, in denen offen angesprochen wurde, dass bei der WM-Generalprobe auf der Großschanze gesprungen wird, bei der WM 2021 an selber Ort und Stelle jedoch nicht. Der Skisprung-Direktor des Norwegischen Skiverbandes, Clas Brede Braathen, gehört zu den Kritikern dieses Umstandes. skispringen.com-Redakteur Luis Holuch sprach mit Braathen in Oberstdorf über seine Haltung in Sachen Gleichberechtigung, die Entstehung der Diskussion und die Chancen auf eine Programmänderung.

Herr Braathen, wer die Presse in Ihrem Heimatland gelesen hat, wird mitbekommen haben, dass Sie als Vertreter ihres Verbandes offen kritisiert haben, dass Sie es nicht nachvollziehbar und schade finden, dass die Frauen hier bei der WM-Generalprobe auf der Großschanze springen, bei der WM im nächsten Jahr aber nicht. Wie kam es dazu?

Clas Brede Braathen: Die Sache ist durch zahlreiche Medienanfragen aufgekommen, nachdem Maren Lundby zuletzt in Rasnov gewonnen hat. Die Journalisten haben natürlich dann gesehen, dass wir in Oberstdorf sein werden und festgestellt, dass sie hier zwar auf der Großschanze springen, im nächsten Jahr aber nicht. Sie haben uns, wie auch Maren, dann Fragen gestellt. Sie sagt immer ehrlich, was sie fühlt. Und wir haben auch ausgedrückt, dass die Entwicklung des Frauen-Skispringens fantastisch ist, die Frauen sind mittlerweile auf einem sehr hohen Level. Das finde ich sehr beeindruckend. Es gibt kein sportliches Argument, die Frauen nicht auf die Großschanze zu lassen. Ich kann für meinen Teil nur Fragen beantworten und für die Entwicklung unseres Sports arbeiten. Das größte Entwicklungspotenzial liegt ganz klar bei den Frauen. Bei uns in Norwegen ist es so, dass das Frauen-Skispringen sogar höhere Einschaltquoten hat als Ski Alpin. In Sachen Gleichberechtigung sind wir in Norwegen immer darum bemüht, ganz vorne dabei zu sein. Ich habe auch von unserer Regierung volle Unterstützung in dieser Sache. Das gibt uns Sicherheit und Motivation, dass wir das Richtige tun. Natürlich gibt es wichtigere Dinge als den Sport – und die Gleichberechtigung ist ein großes Thema.

„Es gibt keinen, der irgendetwas verliert, wenn die Frauen 2021 von der Großschanze springen.

Würden Sie sich wünschen, dass Ihr Verband Mitstreiter zur Unterstützung bekäme? Oder wäre das zu viel erwartet?

Braathen: Ich tue das, was sich für mich persönlich richtig anfühlt. Ich versuche gar nicht erst, über andere zu urteilen, weil sie einen anderen Hintergrund oder andere Kultur haben, aus der sie kommen. Deswegen werde ich auch niemanden für sein Verhalten kritisieren. Ich begebe mich lediglich in Diskussionen und versuche zu verstehen, warum andere so denken, wie sie eben denken. So kann man wenigstens versuchen, einen anderen Weg zu gehen. Ich kann es lediglich nicht mit mir vereinbaren, nichts zu sagen, wenn ich dazu befragt werde. Ich vertrete meinen Skiverband, mein Team und mein Land. Ich liebe Norwegen und das, wofür es steht. Die Werte explizit mit eingeschlossen und Gleichberechtigung ist ein zentraler Teil dessen. Aus diesem Grund stehe ich auch dafür ein und auf. Und am Ende hoffe ich, dass wir in einem Jahr hier stehen und allen zeigen, dass das eine gute Sache für alle ist. Es gibt keinen, der irgendetwas verliert, wenn die Frauen 2021 von der Großschanze springen, sondern es gibt nur Gewinner. Für Oberstdorf ist das doch auch eine Chance, jener Veranstalter zu sein, der diesen Schritt gewagt hat.

So wie Seefeld im vergangenen Jahr das Teamspringen bei der WM eingeführt hat…

Braathen: Ganz genau! Oder Liberec, die die Frauen damals 2009 erstmals ins Programm aufgenommen haben. In Lillehammer sind sie bis heute stolz darauf, den allerersten Frauen-Weltcup überhaupt ausgerichtet zu haben. Ich denke mir, dass das alle Beteiligten stolz machen würde. Deshalb glaube ich auch, dass es eine Chance gibt, die Frauen nächstes Jahr bei der WM von der Großschanze springen zu sehen.

Für Leute von außen ist es ja ab und zu schwierig nachzuvollziehen, wie solche Entscheidungen zustandekommen. Können Sie erklären, was genau nun passieren müsste, dass sich Ihre Hoffnung erfüllt?

Braathen: Das ist eine sehr gute Frage. Im Fall von Seefeld war es ja so, dass das Teamspringen aus dem Nichts plötzlich im Programm war. So wie ich es das verstanden habe, war das eine Initiative, die vom Österreichischen Skiverband beziehungsweise dem Seefelder Organisationskomitee ausging. Es kann natürlich sein, dass es im Oberstdorfer Fall genauso sein könnte, aber verbriefen kann ich Ihnen das nicht. Wenn ich das wüsste, hätte ich auch keine Zeit, mit Ihnen darüber zu sprechen. (lacht)

Das verstehe ich voll und ganz. Es ist ja auch nicht selbstverständlich, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen.

Braathen: Die nehme ich mir gerne. Ich finde es einfach sehr unfair, dass die Frauen sich Zeit nehmen und Energie aufbringen müssen, um für ihr Recht zur Teilnahme an solchen Wettkämpfen kämpfen zu müssen. Es gefällt mir nicht, dass der Fokus so weit weg von den Frauen ist. Warum sollten sie, ich sage jetzt mal bewusst überspitzt, derart verflucht sein? Nehmen wir doch mal Maren Lundby als Beispiel. Sie hat mit Skispringen angefangen, weil sie Ski springen wollte. Das ist das, worum es ihr ging. Am Liebsten wäre es ihr doch, wenn sie einfach nur das machen könnte. Aber sie ist so professionell, dass sie weiß, dass sie diesen Kampf angehen muss, auch wenn sie das wirklich nicht mag. Ich stelle aber leider fest, dass diese Energie und das Funkeln in ihren Augen weniger wird, weil das sehr ermüdend ist. Dennoch ist dieser Sport ihre große Leidenschaft und sie ist ja zuletzt auch als Vorbild des Jahres geehrt worden – und das bei dieser Konkurrenz, denn es gibt viele großartige Athleten in unserem kleinen Land.

„Es ist möglich, dass eine Frau den weitesten Sprung überhaupt absolvieren wird“

Wenn man sich den Weltcup-Kalender anschaut, stellt man ja auch fest, dass die Hälfte der Springen auf der Großschanze springen. Muss man hier sogar von einem Widerspruch sprechen?

Braathen: Ja, absolut. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in der Zukunft fantastische Dinge im Frauen-Skispringen sehen werden. Dinge, die es in keiner anderen Sportart geben wird. Es ist möglich, dass eine Frau den weitesten gestandenen Flug absolvieren wird – auf einer Schanze, auf der auch die Herren springen. Das ist mit das Größte, was man erreichen kann.

Sie haben vor geraumer Zeit ja den Willen geäußert, ein Skifliegen für die Frauen veranstalten zu wollen. Wie ist der Stand der Dinge in diesem Thema?

Braathen: Momentan gibt es wichtigere Themen zu bearbeiten. Die Frauen müssen auf derselben Ebene um Medaillen kämpfen dürfen wie die Männer. Wenn es einen Großschanzen-Wettbewerb bei den Weltmeisterschaften gibt, muss es den auch bei Olympia geben. Das Internationale Olympische Komitee sähe schlecht aus, wenn das anders wäre und ich kann mir nicht vorstellen, dass es daran Interesse hat.

Das Preisgeld ist ja ein weiterer Aspekt, bei dem die Schere zwischen Frauen und Männer auseinander geht. Wie stehen Sie dazu? Sollte daran etwas geändert werden?

Braathen: Ich bin der Meinung, dass wir in Norwegen mit der Raw Air, wo Frauen und Männer das gleiche Preisgeld bekommen, mit gutem Beispiel vorangehen. Aber auf alles andere habe ich als Vertreter meines Verbandes, wie auch der Verband selbst, keinen Einfluss. Ich kann niemandem vorschreiben, wie das Preisgeld auszusehen hat. Ich kann es in FIS-Komitees zur Diskussion stellen, aber die Entscheidungen fallen immer in Abstimmungen. Und dann gibt es immer die nachvollziehbare Meinung, dass es manchen Veranstaltern ein zu hoher ökonomischer Aufwand ist und diese dann abspringen.

… und das wäre ja ein denkbar schlechtes Szenario …

Braathen: Exakt, das ist das schlimmste, was in diesem Fall passieren kann. Zuerst müssen wir es schaffen, einen vollen Weltcup-Kalender auf die Beine zu stellen. Und dann schauen wir im zweiten Schritt, ob es mehr Veranstalter und Verbände gibt, die bereit sind, ähnliches auf die Beine zu stellen wie wir in Norwegen. Es wird keinen geben, der verhindert, dass man mehr Preisgeld bezahlt als vorgeschrieben.

Vielen Dank für Ihre Zeit und das aufschlussreiche Gespräch!

Das Interview wurde vor der Ankündigung des Internationalen Skiverbandes (FIS), über die Aufnahme des Großschanzen-Springens für die Frauen im Sommer abzustimmen, geführt.

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Über Luis Holuch 521 Artikel
Seit 2010 als Journalist tätig und hat 2017 sein erstes Buch veröffentlicht. Wie es die Leidenschaft wollte, ging es darin um das Damen-Skispringen. Genau dafür ist er bei skispringen.com auch primär zuständig. Kommentierte den offiziellen Live-Stream der Junioren-WM 2020, sowie die FIS-Classics-Serie und die Continentalcup-Finals der Nordischen Kombination.

4 Kommentare

  1. Kommt mir ein bißchen so vor wie in den armen Ländern, in denen die Männer verhindern wollen daß Mädchen zur Schule gehen, weil sie Angst haben sie kommen dann zu kurz. Traurig und beschämend für den gesamten Skisprungsport.

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