Schlierenzauer hofft auf „deutsch-österreichisches Duell“

Vor dem Start in seine siebte Weltcup-Saison spricht Gregor Schlierenzauer im Exklusiv-Interview mit skispringen.com über sein Wunsch-Duell, seinen Protestbrief an die FIS, Mitspracherecht und seine Karriereplanung.

Wie der Großteil der österreichischen Mannschaft ließ sich Gregor Schlierenzauer in diesem Sommer nicht wirklich in die Karten blicken. Beim Sommer-Grand-Prix in Hinterzarten wurde er aufgrund eines zu großen Anzugs disqualifiziert, danach startete er nur noch in Hinzenbach und Klingenthal.

Zuletzt machte der österreichische Überflieger vor allem mit Kritik an den neuen Sprunganzügen Schlagzeilen und forderte eine Überarbeitung durch den Weltverband FIS. Im Gespräch mit Marco Ries verrät der 22-Jährige, inwieweit er mit den jüngsten Anpassungen der FIS zufrieden ist, wie er sich dafür eingesetzt hat, welche Ziele er sich für die Zukunft vornimmt und bis wann er seine Karriere plant.

Gregor, beginnen wir mit dem meist diskutierten Thema, damit wir es schnell hinter uns haben: Die neuen Sprunganzüge. Du hast einen Protestbrief an die FIS geschrieben.

Schlierenzauer: Das war kein Protestbrief.

Sondern?

Schlierenzauer: Die Meinung eines Top-Athleten.

Und wie sah diese Meinung inhaltlich aus? War es speziell auf die neuen Sprunganzüge bezogen oder auch auf die allgemeine Entwicklung des Skispringens?

Schlierenzauer: An sich war es schon auf die Anzüge bezogen, aber ich habe auch einen Nachsatz bezüglich der Gesamtheit untergebracht. Die Verantwortlichen haben das auch entsprechend wahrgenommen.

Also haben sie geantwortet?

Schlierenzauer: Ja, es kam ein positives Feedback. Ich finde es gut, dass man erhört wird und die Meinung wahrgenommen wird. Aber dennoch gibt es weiterhin viele Dinge, die man verbessern kann und wo man den Hebel ansetzen muss.

Sind die zwei Zentimeter Toleranz nun insoweit zufriedenstellend, dass du sagst, die neuen Sprunganzüge gehen so in Ordnung?

Schlierenzauer: Ich bezweifle nach wie vor, dass der Windeinfluss wirklich geringer ist. Auch ist es sicherlich nicht so einfach, durch die neuen Anzüge die Disqualifikationen zu verringern. Aber das sind Beobachtungen von mir – man muss nun abwarten, wie sich das im Winter entwickelt.

Dass dieser Schritt mit den zwei Zentimetern nun gemacht wurde, erleichtert zumindest einmal die Arbeit. Trotzdem gibt es noch gewisse Punkte, die aus dem Weg geräumt werden müssen. Aber die FIS arbeitet daran und versucht, für die nächsten Jahre eine Lösung zu finden.

Aber man hätte von Anfang an eine derartige Neuerung ausführlicher testen sollen?

Schlierenzauer: Ja, genau das ist der entscheidende Punkt. Viele Dinge werden beschlossen, ohne eine gewisse Testzeit anzusetzen. Die Leidtragenden sind die Athleten und das ist nicht in Ordnung. Durch solche Änderungen kann man eine Sportart massiv beeinflussen. Es gilt nun, den Hebel dort anzusetzen und solche Dinge in Zukunft besser zu gestalten.

Denkst du, dass die Verantwortlichen daraus lernen und in Zukunft eine längere Testphase ansetzen?

Schlierenzauer: Befragungen gab es, aber eine ausführliche Testphase hat gefehlt. Man könnte beispielsweise zehn Tage mit den besten Springern der Welt dazu nutzen, Neuerungen zu testen. Außerdem kann man sich mit Fachexperten, beispielsweise für Aerodynamik, zusammensetzen und die Sache besprechen.

Dabei ist mir durchaus bewusst, dass mit einer Regeländerung nicht jeder Athlet zufrieden sein kann. Natürlich versucht jeder, den Vorteil für sich herauszuholen. Aber so etwas gehört in den Hintergrund, denn man muss dieses Thema sachlich und mit Weitblick angehen und anschließend bestimmte Entscheidungen treffen.

Weiterhin vielfach diskutiertes Thema ist die allgemeine Entwicklung des Skispringens. Denkst du, dass die zahlreichen Regeländerungen das Skispringen zu kompliziert machen?

Schlierenzauer: Man kann es immer übertreiben. Es gibt Sportarten, die einfach sind und gut funktionieren: Beim Fußball gewinnt derjenige, der die meisten Tore schießt. Beim Skispringen war zu Zeiten von Sven Hannawald und Martin Schmitt ein extremer Hype da, zuletzt vielleicht auch dank der Österreicher. Trotzdem wird jedes Jahr irgendwo am Rad herumgedreht, was meiner Meinung nach nicht unbedingt nötig wäre. Inzwischen ist das Skispringen viel komplizierter geworden. Früher hat meistens der Athlet mit den weitesten Sprüngen gewonnen. Mittlerweile ist das nicht mehr der Fall – und wenn selbst Springer oft nicht mehr wissen, wo sie im Feld platziert sind, leidet natürlich auch die Emotionalität und die Wahrnehmung der Zuschauer. Das ist für die Sportart nicht unbedingt positiv.

Positiv sein könnten aber vielleicht solche Ideen wie Warschau, wo geplant ist, ein Skisprung-Weltcup im Fußballstadion zu veranstalten. Oder wie siehst du das?

Schlierenzauer: Das sind Themen, die man sich genau anschauen muss. Sicherlich ist es keine schlechte Idee. Ich bin dafür, dass man Weltcup-Skispringen dort veranstaltet, wo man weiß, dass eine geile Stimmung herrscht. Aber man muss natürlich auch beachten, dass es viele neue Zentren im Osten gibt. Es gibt viele kluge Köpfe, die sich darüber den Kopf zerbrechen.

Du sagst, kluge Köpfe zerbrechen sich den Kopf. Zuletzt war ja zu hören, dass du dir selbst mehr Mitspracherecht wünscht…

Schlierenzauer: Es ist natürlich nicht so einfach, ein entsprechendes Mitspracherecht umzusetzen – das hört sich einfacher an, als es tatsächlich ist. Ich wünsche mir aber, dass die FIS öfters Meinungen der Sportler einholen würde und sich eben die Zeit gibt, eine längere Testphase zu absolvieren. Nur so kann man verhindern, dass bestimmte Entwicklungen in die falsche Richtung gehen.

Du hast dich zuletzt aktiv dafür eingesetzt, dass bestimmte Entwicklungen eben nicht in die falsche Richtung gehen. Siehst du eine gewisse Gefahr, dass man dadurch die eigentliche Saisonvorbereitung aus den Augen verliert?

Schlierenzauer: Es ging mir nicht darum, etwas durchzusetzen, sondern meine Meinung loszuwerden. Ich denke, mit 40 Weltcupsiegen hat man das Recht, eine Meinung zu präsentieren. Wer das nicht erleidet, der tut mir Leid.

Nehmen wir den anstehenden Winter in den Blick. Nimmst du dir etwas Besonderes für die kommende Saison vor, oder gehst du den Winter etwas gelassener an, nachdem du schon fast alles erreicht hast?

Schlierenzauer: Es ist schon richtig, dass sich die Prioritäten bei mir etwas versetzt haben. Ich sehe inzwischen alles etwas langfristiger. Großes Ziel ist es natürlich, den Rekord von Matti Nykänen (mit 46 Weltcupsiegen der erfolgreichste Skispringer aller Zeiten; Anm. d. Red.) zu knacken. Das zweite große Ziel ist Sotschi. Aber das sind beides eher langfristige Ziele. Momentan verspüre ich aber keinen Zeitdruck, denn ich habe schon vieles erreicht. Früher wäre ich zu diesem Zeitpunkt schon unter Strom gewesen und hätte mir Druck gemacht – heute gehe ich das viel gelassener an.

Deine Zielsetzung ist langfristig. Wie langfristig ist eigentliche die Karriereplanung?

Schlierenzauer: Ich plane nur bis Sotschi. Ich denke, dass man als Spitzensportler auch nicht viel weiter vorausschauen darf, denn es kann von heute auf morgen vorbei sein. Es kann eine schwere Verletzung kommen oder man kann aus einem anderen Grund seine Leistung nicht mehr abrufen. Skispringen ist ein sehr sensibler Sport, aber das macht den Reiz aus.

Im vergangenen Winter und in diesem Sommer bekam man den Eindruck, dass die österreichische Dominanz nicht mehr ganz so ausgeprägt ist wie die Jahre zuvor. Siehst du diese Entwicklung ähnlich?

Schlierenzauer: Das ist menschlich, denn auch wir sind keine Maschinen und die anderen schlafen nicht. Es gibt viele österreichische Trainer im Ausland, die einen sehr guten Job machen. Ich denke, dass es der normale Wandel der Zeit ist. Aber wir werden wieder versuchen, den gewissen Schritt voraus zu sein.

Ist es nicht sogar eine Situation, die man sich herbeisehnt? Gerade mit Blick auf das allgemeine Interesse am Sport…

Schlierenzauer: Ja, das sehe ich so. Konkurrenz belebt das Geschäft. Ein deutsch-österreichisches Duell wäre mir am liebsten. (lacht) Und auch aus wirtschaftlicher Hinsicht wäre das ideal.

Dann freuen wir uns auf dieses Duell und wünschen viel Erfolg. Vielen Dank für das Gespräch.

 

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