Zwischen Trotz und Zweckoptimismus

Die Skispringerinnen und ihr ewiger Kampf für mehr Rechte

Foto: tramplin.perm.ru

Ziemlich genau einen Monat nach ihren männlichen Kollegen durften auch die Skispringerinnen endlich ihre WM-Saison 2020/2021 beginnen. Doch nach dem Weltcup in der Ramsau sind bereits wieder fünf Wochen Pause. Eine prekäre Situation.

Ganze neun Monate mussten die Skispringerinnen auf ihren Saisonstart warten, ehe es am vergangenen Wochenende in Ramsau endlich den (ungeplanten) Saisonauftakt gab. Der Zuspruch war mit 61 Teilnehmerinnen enorm groß – und das, obwohl es das erste und einzige Springen vor dem Jahreswechsel bleiben sollte. Umso umkämpfter waren die begehrten Podestplätze am Fuße des Dachsteingletschers. Mit Marita Kramer aus Österreich, die im Finaldurchgang den Schanzenrekord knackte, gab es eine hochverdiente Siegerin. Doch neben der Schanze brodelt es, so sehr wie schon lange nicht mehr.

Dabei war das Damen-Skispringen auf einem guten Weg. Die Vorsaison war trotz des vorzeitigen Abbruchs ein voller Erfolg, schließlich wurden die nächsten Entwicklungsschritte vor allem durch mehr Großschanzen-Wettkämpfe gemeistert. Doch dann kam die Nachricht aus Lillehammer, dass der Saisonauftakt dort nicht stattfinden können würde. Ein echter Tiefschlag. „Man sitzt bei den Wettkämpfen der Herren vor dem Fernseher und denkt sich: na toll, und Ende Januar starten wir und dann ist die Saison in zwei Monaten gegessen?“, gab die Gesamtweltcup-Zweite der Vorsaison, Chiara Hölzl, einen Einblick in ihr Gefühlsleben zu jenem Zeitpunkt.

(Nicht-)Peking-Ersatz sorgt für Protestwelle

Nur die Veranstalter in der Ramsau und der Österreichische Skiverband (ÖSV) verhinderten, dass 2020 gar kein Springen mehr stattfinden würde. „Darüber bin ich schon froh, das ist ein kleines Weihnachtsgeschenk für uns“, zeigte sich Hölzl nach der Bekanntgabe sichtlich erleichtert. Doch nur wenige Stunden später gab es dann die nächste Hiobsbotschaft: Die abgesagte Olympia-Generalprobe von Peking wird in Polen nachgeholt – aber nur die Wettkämpfe der Herren. „Und was ist mit uns? Unsere Wettkämpfe wurden auch abgesagt“, twitterte die Norwegerin Silje Opseth daraufhin. Es sollte der Beginn einer Protestwelle sein.

„Das ist etwas, was mich sehr traurig macht. Das finde ich furchtbar“, sagte die Schwedin Astrid Norstedt gegenüber ‚SVT Sport‘. Viele weitere Springerinnen machten ihrem Unmut durch Interviews und Social-Media-Posts Luft und auch ehemalige sprangen ihnen zur Seite. So schrieb Lindsey Van, die 2009 die erste Weltmeisterin wurde, auf Instagram: „Das ist absolut nichts Neues. Die FIS kümmert sich jetzt nicht um das Frauen-Skispringen und hat es auch noch nie getan“, und berichtete von Schikanen, die ihr und ihren Kolleginnen sogar als Vorspringerinnen Ende der 1990er- und Anfang der 2000er-Jahre begegneten. Van sprach vielen Athletinnen offensichtlich aus der Seele, schließlich wurden ihre Posts in der Szene eifrig geteilt.

Pertile: „Der Marktwert entscheidet“

FIS-Renndirektor Sandro Pertile begründete die ausbleibenden Ersatzwettkämpfe gegenüber ‚SVT Sport‘ indes so: „Gemäß unserer TV- und Sponsorenverträge haben Männer und Frauen unterschiedliche Werte, der Marktwert entscheidet. Leider ist das Einnahmenniveau für Veranstalter bei einem Frauen-Wettkampf nicht ausreichend, um alle Ausgaben zu decken. Das ist einer der Gründe, warum viele keine Wettkämpfe ausrichten wollen. Die Einnahmen bei Männer-Wettkämpfen sind höher, deshalb ist es einfacher, Veranstalter zu finden.“ Wirklich entkräften tut Pertiles Aussage Vans Vorwurf nicht, wenngleich er ergänzte, dass sein Konterpart bei den Frauen, Chika Yoshida, verschiedenste Ausrichter angefragt, aber nur Absagen bekommen habe.

» Weltcup-Kalender 2020/2021: Alle Termine der Skispringerinnen im Überblick

Man werde nun versuchen, die ausgefallenen Wettkämpfe einzeln bei den anderen Stationen nachzuholen und diese auf die bestätigten Wochenenden zu verteilen, sagte Pertile. Von Yoshida selbst gab es dazu bislang keine öffentlichen Äußerungen. Und so bleibt festzuhalten, dass nach Ramsau eine fünfwöchige Pause im Kalender steht. Während bei den Herren nach aktuellem Stand alle 28 Einzelspringen stattfinden, sind es bei den Damen statt den geplanten 24 gerade einmal 16; also geradeso etwas mehr als die Hälfte. „Es ist unfassbar schwierig, tagtäglich zu trainieren, wenn du nichts hast, worauf du hinarbeiten kannst“, beschrieb die prägende Springerin der vergangenen Jahre, Maren Lundby, die prekäre Situation bei ‚TV2‘.

Öffentlicher Zuspruch verhalten

Die Geschichte des Damen-Skispringens ist seit jeher von Kämpfen für mehr Rechte geprägt, quasi nichts geschah von allein. Das verdeutlicht ein weiteres Statement von Van: „Der einzige Grund, weshalb die Frauen überhaupt Wettkämpfe bei Weltcups, Weltmeisterschaften, Olympische Spielen, Continentalcups haben ist, weil sie jahrelang hart dafür gekämpft haben. Nur mit großem, auch medialem, Druck änderten sich die Dinge. Ich habe lange geschwiegen, weil es einfach nur ermüdend ist. Meine ganze Skisprungkarriere war ein Kampf für die Gleichberechtigung.“

Trotz vieler Zugeständnisse ist der Kampf für die Gleichberechtigung noch längst nicht gewonnen, was es für die aktuelle Generation nicht einfacher macht. „Das Skispringen macht mich müde, weil es jedes Jahr derselbe Kampf ist“, sagte eine Springerin, die anonym bleiben möchte, zu skispringen.com. Maren Lundby stellte bei dieser Gelegenheit klar: „Es wäre ohne Wenn und Aber der Idealfall, wenn ich gar nicht mehr über das Thema Gleichberechtigung sprechen müsste.“ Öffentlichen Zuspruch von den männlichen Kollegen erhielten sie und ihre Mitstreiterinnen vom Gesamtweltcupführenden Halvor Egner Granerud und seinem norwegischen Landsmann Daniel-André Tande, die in ihrem Podcast identische Preisgeldsummen forderten.

Derzeit verdienen nur die Top 20 jedes Weltcupspringens ein Preisgeld von 38 Schweizer Franken brutto pro Weltcuppunkt, während es bei den Herren 100 Franken pro Punkt für die Top 30 gibt. Der Nordische Kombinierer Taylor Fletcher aus den USA postete zudem auf Facebook das weibliche Geschlechtersymbol vor pinkem Hintergrund und schrieb dazu: „Es ist an der Zeit, es besser zu machen, FIS Ski Jumping.“ Das veranlasste Lundby zu Freude: „Es ist großartig, dass wir von ihm Unterstützung bekommen haben und er mutig genug war, sich dazu zu äußern und die Wahrheit zu sagen. Ich hoffe sehr, dass noch mehr Herren seinem Beispiel folgen und wir mehr gemeinsame Wettkämpfe in Zukunft haben werden.“

Hofers Vision wurde (noch) nicht wahr

Letzterer Aspekt ist eine Vision, die bereits im März 2018 vom damaligen FIS-Renndirektor Walter Hofer präsentiert wurde. „So lapidar und technokratisch diese Aussage zunächst klingen mag, so sehr steckt in diesem Vorhaben ein revolutionärer Ansatz. Es bedeutet nämlich, dass die Damen in Zukunft überwiegend von Großschanzen springen werden. Erst dann könnten diese Synergien optimal ausgenutzt werden“, sagte Hofer seinerzeit. Mit Ausnahme der Raw Air und der WM-Generalprobe im rumänischen Rasnov, wo auf der Normalschanze gesprungen wird, ist dies im Kalender 2020/2021 jedoch nicht widerzuerkennen, was freilich nicht Hofer anzulasten ist.

„Alle, die uns unterstützen können, sollten das tun“, forderte Lundby deshalb, denn „nur wenn wir alle an einem Strang ziehen, können wir auch etwas bewegen.“ Sie und ihre Landsleute sind sehr danach bestrebt, zumindest die Lillehammer-Wettkämpfe nachzuholen: „Wir tauschen uns mit dem Verbandspräsidenten und dem Kulturminister aus, die uns helfen. Auch in den anderen Nationen sollte sich etwas tun, wir brauchen mehr Veranstalter für Wettkämpfe.“ An freien Wochenenden im Kalender wird dieses Vorhaben jedenfalls nicht scheitern.

Auch interessant: Wenige Tage vor dem Start der Vierschanzentournee ist die Teilnahme von Karl Geiger weiterhin ungewiss. So geht es dem Skiflug-Weltmeister nach seiner Corona-Infektion.

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Über Luis Holuch 519 Artikel
Seit 2010 als Journalist tätig und hat 2017 sein erstes Buch veröffentlicht. Wie es die Leidenschaft wollte, ging es darin um das Damen-Skispringen. Genau dafür ist er bei skispringen.com auch primär zuständig. Kommentierte den offiziellen Live-Stream der Junioren-WM 2020, sowie die FIS-Classics-Serie und die Continentalcup-Finals der Nordischen Kombination.

10 Kommentare

  1. Aus meiner Sicht müssten die Damen mit den Männern Reisen, denn so währen die Kosten für die Veranstalter gering. Dann könnten die Damen vormittags und die Männer nachmittags springen. Und so mit regelmäßigen Wettkämpfen dann vermutlich die Leistungsdichte und das Mediale Interesse steigern

  2. Pertile ist hier doch erfrischend ehrlich. Damenskispringen ist kein Almosen, sondern muss sich irgendwie refinanzieren. Da kann man noch so viel auf den höheren Marktwert der Männer schimpfen, es ist nun mal so. Melde sich wer kann, der in der letzten Saison öfter Herren- als Damenskispringen verfolgt hat wenn es die Möglichkeit gab. Die Herren können wiederum nur neidisch auf die Preisgelder in anderen Sportarten schauen.

    Denkbar wäre eine gezielte Förderung der Damen, indem die FIS oder der Veranstalter (oder der TV-Sender) „draufzahlt“, doch ich denke, angesichts der bereits entstandenen Ausfälle in 2020 hält sich die Begeisterung dafür in Grenzen. Ein Damenwettbewerb am gleichen Ort wie bei den Herren würde sicher die Mehrkosten im Rahmen halten, ist aber angesichts des ohnehin wackeligen Hygienekonzepts sicher auch nichts, was man ohne Not einfach so mal tut.

  3. Ich verstehe überhaupt nicht, warum die Damen nicht an den gleichen Orten zum selben Termin springen dürfen. Da reden sicherlich auch wieder die TV-Anstalten mit.

  4. Ich ärgere mich seit Jahren über Zustände bei der FIS! Vielleicht ist es an der Zeit, dem Skisprungsport den Rücken zu kehren bis sich diese Missstände aufgeklärt haben.

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