Zukunft fraglicher denn je

Schanze marode, Kasse leer: Harrachov gibt Skiflug-WM 2024 ab

Foto: Artur Bała, skisprungschanzen.com

Seit Jahren wartet man auf gute Nachrichten aus Harrachov und das bleibt auch vorerst so. Wie der tschechische Verband nun bekanntgab, gibt Harrachov die Ausrichtung der Skiflug-WM 2024 ab. Die Situation ist und bleibt ernst.

Wer in den letzten gut zwei Jahren in Harrachov war, konnte sich kaum vorstellen, dass der Sprungbetrieb dort nochmal aufgenommen, geschweige 2024 eine Skiflug-WM dort stattfinden könnte. Und diese Befürchtung wurde nun Wirklichkeit, denn am 30. Oktober gab der tschechische Verband statt, dass er die Ausrichtung eben dieser Skiflug-WM abgeben werde. Trotz dass der Internationale Skiverband (FIS) sogar einen Zahlungsaufschub gewährt habe, sehe man keine Möglichkeit, zumindest die Skiflugschanze wieder betriebsbereit zu machen.

Es ist ein Bild des Schreckens, das sich für Touristen im Wintersportort auftut: Verwucherte Hänge, wackelnde und eingebrochene Holzbalken und keine Aussicht auf Besserung. Salopp formuliert hat das Schanzenareal am Teufelsberg schon bessere Tage gesehen. Experten finden kaum mehr Worte für den Zustand der dortigen Anlagen. Vor gut einem Jahr wurde mit der K90 die letzte der fünf Schanzen geschlossen. Jene Schanze, die für die Nationalmannschaften die einzige im gesamten Land war, die das gesamte Jahr über genutzt werden konnte.

Einst ungewohnte Ruhe am Teufelsberg fast schon Alltag

„Wir haben von Anfang gesagt, dass wir ohne Staatsgelder nicht in der Lage sind, die Ausrichtung durchzuführen. Wir sind der FIS sehr dankbar, dass sie die Frist für die Zahlung der Registrierungsgebühr verlängert hat, doch wir konnten die nötigen Bauangelegenheiten bislang nicht in die Tat umsetzen. Aus diesem Grund ziehen wir die Ausrichtung nun zurück“, sagte der Präsident des tschechischen Skiverbandes Lukas Hermansky.

Doch der gibt sich kämpferisch: „Wir hatten zuletzt viele Treffen, auch mit den betreffenden Personen aus der Politik. Wir alle sind daran interessiert, die Schanzen wieder herzurichten. Leider sind die Angelegenheiten, vor allem rund um Eigentumsfragen nicht einfach zu klären. Dafür braucht es Zeit, aber wir werden weiter an einer Lösung arbeiten.“ Sobald die Grundsatzfragen geklärt seien, werde man sich im Frühjahr 2020 erneut um eine Austragung einer Skiflug-WM bemühen, teilte der Verband mit.

Kapitel Harrachov für immer geschlossen?

Der Verfall der Schanzen am Teufelsberg hat große Wellen geschlagen. Immer wieder gibt es Spendenaktionen und Hilfeaufrufe zur Wiederbelebung der Anlagen, spätestens seitdem Tschechiens ehemaliger Vorzeige-Skispringer Jakub Janda Mitglied der Chefetage des Verbandes ist. Auch Adam Malysz hat sich für die Certak-Schanzen starkgemacht. Bislang vergebens. Die Abgabe der Skiflug-WM 2024 ist ein weiteres trauriges Kapitel der Geschichte, die Harrachov seit der letzten Skiflug-WM dort, 2014 nämlich schreibt.

» Weltcup-Kalender 2019/2020: Alle Termine der Skispringer im Überblick

Auch diese war schon von Schwierigkeiten geprägt: Zunächst finanzieller Natur, denn es mussten alle Geldreserven zusammengekratzt werden, um diese überhaupt austragen zu können. Und dann machte der Teufelsberg seinem gefürchteten Ruf als Windloch alle Ehre und verhinderte auch noch die Austragung der zweiten Hälfte des Einzelwettbewerbs. So wurde Severin Freund seinerzeit nach nur zwei Durchgängen im März 2014 Skiflug-Weltmeister. Der Teamwettbewerb fiel komplett dem Wind zum Opfer. Es war das letzte Mal, dass die Weltelite in Harrachov zu Gast war.

Vikersund, Planica, Bad Mitterndorf oder Oberstdorf: Wer übernimmt?

Am 23. November trifft sich der FIS Council, um unter anderem die exakte Terminierung für die Skiflug-WM vorzunehmen. Es gilt als sicher, dass dort auch eine Neuausschreibung zur Ausrichtung des Events umgesetzt wird. In der Theorie stünden mit Vikersund, Planica, Bad Mitterndorf und Oberstdorf vier Schanzen zur Verfügung. Vikersund ist bereits 2022 der Austragungsort, zwei Austragungen in Folge erscheinen wenig realistisch. In Planica findet im kommenden März die nächste Skiflug-WM statt, Oberstdorf veranstaltete die davor 2018.

Bleibt somit noch der Kulm in Bad Mitterndorf, der im eigentlichen Zehn-Jahre-Zyklus erst 2026 an der Reihe gewesen wäre. Somit steht nicht nur der tschechische, sondern auch der Internationale Skiverband vor ungeplanten Aufgaben, die es nun zu lösen gilt. FIS-Renndirektor Walter Hofer hatte schon im Frühjahr 2019 die Idee geäußert, die Skiflug-WM durch eine Art Grand-Slam-Wettbewerb auf allen nutzbaren Skiflugschanzen zu ersetzen. Das könnte zwar nicht vor der Saison 2022/2023 passieren, ist aber nach den Nachrichten aus Harrachov zumindest nicht unwahrscheinlicher geworden.

Auch interessant: Walter Hofer und Sandro Pertile: So startet die FIS-Doppelspitze in die Saison.

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Über Luis Holuch 530 Artikel
Seit 2010 als Journalist tätig und hat 2017 sein erstes Buch veröffentlicht. Wie es die Leidenschaft wollte, ging es darin um das Damen-Skispringen. Genau dafür ist er bei skispringen.com auch primär zuständig. Kommentierte den offiziellen Live-Stream der Junioren-WM 2020, sowie die FIS-Classics-Serie und die Continentalcup-Finals der Nordischen Kombination.

6 Kommentare

  1. Bin gerade in Harachow, sehe das Skisprungareal aus meinem Hotelzimmer, kenne es aus besseren Zeiten, schade, ich hoffe es tut sich was im positiven Sinne.

  2. Geschätzte 10-15 Mio € nur dass alle 5-10 Jahre mal ein Springen
    stattfindet, das ist eben auch krank. Trainiert werden darf ja auch nicht
    auf einer Flugschanze… Es wäre ein Faß ohne Boden. Ohne internationale
    Hilfe und Sponsoren kann man das in Tschechien nicht lösen. Die FIS will
    attraktive Wettbewerbe, aber die Ausrichter bleiben auf den Kosten sitzen…alles krank und nicht durchdacht…

  3. Schade. Sah bei meinem letzten Besuch vor vier Jahren auch nicht viel besser aus.
    „Dreiländereck“ ist aber eine mutige Beschreibung für Harrachov. Das würde eher auf Liberec zutreffen.

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