Neuheit im Materialsektor

"Wunderschuh" für Kamil Stoch, Piotr Zyla und Co.: Das steckt dahinter

Polens Skispringer wollen mithilfe eines neuen Sprungschuhs die Konkurrenz überholen. Das Echo war nach der Vorstellung des „Wunderschuhs“ groß, doch was steckt eigentlich dahinter? skispringen.com klärt auf.

Maß- und handgefertigt wird er, der neue Schuh für Polens Top-Athleten. Satte sechs bis acht Meter mehr an Weite soll er bringen, hieß es in polnischen Medien. Das klingt alles im ersten Moment verheißungsvoll. Und auch wenn der „Wunderschuh“ diesen Beweis beim Weltcup-Auftakt in Wisla noch schuldig blieb, das Interesse am neuen Material ist ungebrochen groß. Auch, weil nun mehr Details über das Projekt bekannt werden.

Angestoßen hat es nämlich niemand geringerer als Adam Malysz, die Skisprung-Legende und Sportdirektor im polnischen Skiverband für Skispringen und Nordische Kombination. Und das bereits im August 2018, als der polnische Cheftrainer nicht Michal Dolezal, sondern noch Stefan Horngacher hieß. Der ist mittlerweile verantwortlich für die deutschen Skispringer und gab seinerzeit aber sein Okay für das Schuh-Projekt.

Malysz-Schuh als Stöckl-Schuh 2.0?

Es ist sieben Jahre her, da war in der Skisprungszene der Sprungschuh schon einmal in aller Munde. Damals war es Norwegens Chefcoach Alexander Stöckl, der gemeinsam mit seinem Vater Paul eine Modifikation des Schuhs austüftelte. Mittels einer Art Manschette sollte dem Schuh mehr Steifheit verliehen und so am Schanzentisch mehr Druck auf den Ski erzeugt werden.

Und das funktionierte auch: Tom Hilde und Anders Jacobsen kamen damit prima zurecht, Jacobsen gewann mit einem solchen Schuh gar die Springen in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen bei der Vierschanzentournee 2012/2013.

Nun war es also Malysz, dem eine Innovation des Schuhs vorschwebte. Monatelang suchte er nach einer Partnerfirma, doch so recht ergeben wollte sich nichts. Bis er schließlich auf die polnische Firma Nagaba stieß und persönlich dort anrief. „Ich ging ans Telefon und die Stimme sagte: „Hallo, hier spricht Adam Malysz. Ich würde gerne mit Ihnen über Schuhe für unsere Skispringer reden“, erzählte Inhaberin Ewa Nagaba. „Ich dachte erst, jemand spielt mir einen Streich, aber die Stimme hörte sich sehr echt an. Also lud ich ihn ein, um sicherzugehen. Ich dachte wirklich, es kommt keiner.“

Dann aber ging es ganz schnell. Malysz kam vorbei, erläuterte sein Anliegen und überzeugte die Firma damit. Und das, obwohl in der Manufaktur noch nie Ski- und schon gar nicht Skisprungschuhe hergestellt wurden. Doch mit der Erfahrung, dem Fachwissen und auch etwas Vorstellungskraft der Schuhbauer ging es dann los. „Die Schuhe sind größtenteils handgemacht. Im Grunde arbeiten wir wie eine Werkstatt und können unseren Kunden dann auf ihre Wünsche zugeschnittene Produkte anbieten“, so Nagaba.

„Wunderschuh“ ist vegan und wird von der EU mitfinanziert

Das eigentliche Kerngeschäft der Firma aus Krapkowice in der Woiwodschaft Opole sind Straßen-, Freizeit und Outdoorschuhe – vorwiegend aus Leder, da es sich dem Fuß am besten anpasst. Doch es gibt auch Füße oder Menschen, die dieses Material nicht vertragen, „deswegen entwickeln wir schon seit einiger Zeit im Labor andere Materialien und Oberflächen“, erklärt Nagaba: „Aus technischen und technologischen Gründen stellen wir auch die Sprungschuhe für unsere Skispringer aus solchen Materialien her.“

Der vegane Schuh als Wunderwaffe also. Aber nicht nur das: Die Finanzierungsmittel für die Entwicklung und Herstellung dieses Spezialmodells von rund 20.000 Euro stammen aus Fördertöpfen der Europäischen Union. Die Ananspruchnahme der Dienste von Patentanwälte kostete knapp 1.350 Euro und obwohl es laut Roland Wrzeciono, dem Direktor des Wirtschaftsentwicklungszentrums von Opole, eines der spannendsten Projekte war, war es für acht Monate auch das wohl am besten gehütete Geheimnis der Skisprungszene.

Stoch und Zyla überzeugt, Kubacki (noch) nicht

Dass noch nicht die ganz große Weitenexplosion bei den polnischen Top-Springern zustande kam, lag aber weniger am Schuh als an den Umständen des schwierigen Weltcup-Auftaktes in Wisla. Doch man habe auch erwartet, dass es eine schleichende Entwicklung brauche, so Gregor Soboczyk, Co-Trainer der polnischen Mannschaft gegenüber ‚onet.pl‘: „Die Schuhe machen einen Durchschnitts- nicht zu einem Spitzenspringer. Der Athlet muss gut springen, dann kann ihm der Schuh vielleicht ein bisschen helfen“, stellte er klar.

Ähnlich wie Stöckl, der seinerzeit im skispringen.com-Interview zugab, dass man mit der Innovation die Szene nur etwas aufmischen wollte, deutete Soboczyk an, dass das Phänomen nun dasselbe sei: „Wenn etwas ganz Neues auf dem Markt ist, löst das erst mal ein ‚wow‘ aus.“ Das Material solle nun bis zu den Olympischen Spielen 2022 in Peking optimiert werden. Fürs Erste ist der „Wunderschuh“ jedoch nur ein „Spezialschuh“ und lediglich eine andere Variante der Spezialanfertigungen, die ohnehin die allermeisten Skispringer ohnehin von ihrem Hersteller, egal welchem, bekommen.

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Über Luis Holuch 522 Artikel
Seit 2010 als Journalist tätig und hat 2017 sein erstes Buch veröffentlicht. Wie es die Leidenschaft wollte, ging es darin um das Damen-Skispringen. Genau dafür ist er bei skispringen.com auch primär zuständig. Kommentierte den offiziellen Live-Stream der Junioren-WM 2020, sowie die FIS-Classics-Serie und die Continentalcup-Finals der Nordischen Kombination.

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