Michael Neumayer: „Es ist egal, ob man 17 oder 35 ist“

Die Nordische Ski-WM in Val di Fiemme ist die letzte, an der Michael Neumayer teilnehmen wird. Im exklusiven Interview bei skispringen.com verrät der 34-Jährige, warum nach Sotschi definitiv Schluss ist und wie es danach weitergeht.

Seit über zehn Jahren ist Michael Neumayer regelmäßiger Weltcup-Skispringer. Selten stand er im Rampenlicht des deutschen Skisprungs, doch im Spätherbst seiner Karriere macht er noch einmal mit stabilen und starken Leistungen auf sich aufmerksam. In Val di Fiemme bestreitet er aktuell die letzten Nordischen Ski-Weltmeisterschaften seiner Karriere, denn nach den Olympischen Winterspielen 2014 soll Schluss sein: „Der Plan lautet, dass ich nach Sotschi meine Karriere beende“, verrät der 34-Jährige im Interview.

Im Gespräch mit skispringen.com-Redakteur Marco Ries spricht Michael Neumayer über seine Zukunft nach der Skisprungkarriere, die meist schlechten Benotungen durch die Kampfrichter und die bevorstehenden Wettkämpfe bei den Weltmeisterschaften.

Michael, noch einmal Glückwunsch zum zweiten Platz von Vikersund. Nach dem besten Weltcupergebnis deiner Karriere: Folgt bei der WM der erste Sieg?

Michael Neumayer: Vielleicht bringe ich das in meinem Springerleben noch hin, aber ich gehe nicht an die Schanze mit dem Ziel, heute muss ich gewinnen. Ich freue mich momentan einfach, dass es läuft. Egal welcher Platz am Ende herauskommt. Ich kann zufrieden sein, wenn ich gut gesprungen bin. Momentan habe ich riesig Spaß und daher mache ich mir keinen großen Druck.

Aber sicherlich machst du dir Gedanken über das große Saisonhighlight. Wie gehst du die WM in Val di Fiemme an?

Neumayer: Die WM ist natürlich das Saisonereignis schlechthin – für uns Aktive ebenso wie für die Medien. Natürlich möchte ich mich dort möglichst gut präsentieren, ohne dabei zu sehr an bestimmte Platzierungen zu denken. Ich werde mein Bestes geben, damit ich unter den vier Athleten rangiere, die dann im Kampf um die Medaillen antreten dürfen.

Dieter Thoma sagte im skispringen.com-Interview, Michael Neumayer springe „in der Form seines Lebens“. Würdest du das so unterschreiben?

Neumayer: Das hört sich übermäßig toll an – ich bin Zwölfter im Gesamtweltcup und so überragend ist dieser Platz nicht. Aber zumindest bin ich über den gesamten Winter relativ konstant und deutlich besser als in den letzten Wintern. Wenn die Saison so weiterläuft, wird es wohl tatsächlich auch die beste meines Lebens. Aber ich hatte schon einmal solche Phasen, als ich richtig gut gesprungen bin – doch dass es konstant über eine ganze Saison klappt, ist auch für mich neu.

Bei der Vierschanzentournee warst du bester Deutscher, obwohl im Vorfeld eher Severin Freund als einer der Favoriten gehandelt wurde. Ist in so einer Situation der sechste Platz vielleicht sogar mehr wert als der dritte Platz in der Saison 2007/2008?

Neumayer: Für mich persönlich war dieser sechste Platz eine super Leistung. Trotzdem war es schade, dass Severin genau zum diesem Zeitpunkt einen nicht so guten Sprung gemacht hat – ansonsten hätte er um den dritten Platz sicher ein Wörtchen mitgeredet. Letztendlich zählen aber höchstens die Top-3. Sobald man das nicht schafft, liest man in der Presse, dass der Erfolg fehle. Aber im Grunde waren wir mannschaftlich ja so stark wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Für mich persönlich ist der sechste Platz zwar viel wert, aber es wäre mir lieber gewesen, wenn Sevi den dritten geholt hätte und ich vielleicht nur Siebter geworden wäre. (lacht)

Ein großes Thema sind und waren – nicht nur während der Vierschanzentournee – deine Haltungsnoten. Bundestrainer Werner Schuster hat die Sache bei einer Mannschaftsführersitzung thematisiert. Hat das, im Nachhinein betrachtet, etwas gebracht?

Neumayer: Zumindest hat es nicht geschadet. Ich fand es sehr schön, als sich der Bundestrainer damals für mich eingesetzt hat. Ich selbst bin in Innsbruck auf die Barrikaden gegangen, als ich von einem norwegischen Kampfrichter eine 15,0 erhalten habe. Das war eine Unverschämtheit – da hat man einfach etwas sagen müssen. Mittlerweile bekomme ich von den norwegischen Kampfrichtern zumindest eine 17,0, was zwar immer noch nicht passt, aber schon ein Fortschritt ist. Andere Richter geben mir inzwischen die 18,0, sofern die Weite stimmt.

Hattest du als Springer eigentlich schon einmal die Möglichkeit, mit einem Kampfrichter darüber zu sprechen?

Neumayer: Ja, wenn man zufällig im Flugzeug neben jemandem sitzt, der Deutsch spricht. Aber was genau sie an meinem Sprung auszusetzen haben, können sie häufig selbst nicht genau sagen. Es heißt halt oft, dass der Flug nicht ästhetisch aussieht und etwas wackelig ist.

Du würdest schon sagen, dass die Haltungsnoten dich schon mehrmals in der Karriere gewisse Platzierungen oder Erfolge gekostet haben, oder?

Neumayer: Ja. Man kann sagen, dass meine gesamte Karriere über jedes Ergebnis zwei, drei oder vier Plätze besser hätte sein können. Aber darauf habe ich selbst eben keinen großen Einfluss – leider.

Bei der FIS-Team-Tour hattest du angedeutet, dass du vermutlich zum vorletzten Mal dabei bist. Ist nach den Olympischen Winterspielen 2014 also Schluss?

Neumayer: Der Plan lautet, dass ich nach Sotschi meine Karriere beende. Eigentlich springe ich schon seit zwei Jahren von Jahr zu Jahr – nach der Saison wäge ich ab, ob ich noch erfolgreich sein kann, ob es mir Spaß macht und es sich auch finanziell lohnt. Auch nach der aktuellen Saison werde ich diese Entscheidung wieder fällen, aber aktuell gehe ich stark davon aus, dass ich 2013/2014 noch dabei bin. Ich denke aber, dass es dann nach Olympia ein guter Zeitpunkt ist, die Sache sauber zum Ende zu bringen und ins Leben nach dem Sport zu wechseln.

Setzt du dir im Vorfeld für das letzte Highlight deiner Karriere ein besonderes Ziel?

Neumayer: Ziel wäre es natürlich, dass die gesamte Saison ähnlich läuft wie die aktuelle. Es wäre super, wenn ich dann einen Einsatz bei Olympia bekäme und um eine Medaille mitspringen könnte. Mir ist aber bewusst, dass die kommende Saison auch anders laufen kann.

Du bist zweitältester Springer der Weltcup-Mannschaft, in der sich inzwischen der Nachwuchs aufdrängt. Wie ändert sich dadurch deine Rolle im Team?

Neumayer: Erst einmal muss ich sagen, dass es eine tolle und beruhigende Situation ist, wenn junge Athleten nachkommen und man weiß, dass man mich irgendwann nicht mehr unbedingt braucht. (lacht) Wir haben junge, aufstrebende Athleten, die das Skispringen in den kommenden Jahren für Medien und Zuschauer attraktiv gestalten können. Trotzdem hätte ich demnächst irgendwann aufgehört, wenn dem nicht so wäre.

Wie würdest du deine Rolle abseits der Schanze definieren? Werner Schuster sagte vor einigen Wochen, du nimmst gewissermaßen eine Vaterrolle den jüngeren Athleten gegenüber ein.

Neumayer: (lacht) Ab und zu habe ich schon das Vergnügen, den Jungen erklären zu dürfen, was sie erwartet, wenn sie an neue Orte kommen. Die jungen Athleten nehmen das gerne an, auch wenn das
der Trainer natürlich ebenso machen könnte – aber vielleicht ist es manchmal zwischen Aktiven und Aktiven ein bisschen entspannter. Aber ansonsten bin ich ein normales Mitglied einer Mannschaft, in der es vollkommen egal ist, ob einer 17 und der andere 35 Jahre alt ist. Die Stimmung in der Mannschaft ist super.

Du springst seit über zehn Jahren im Weltcup, bist als verlässlicher Springer bekannt, der bei Teamspringen immer seinen Einsatz erhält. Ist es eher Fluch oder Segen, dass man nie ganz im Rampenlicht stand?

Neumayer: Was das Mannschaftsspringen betrifft, war es ein absoluter Segen. Mir wurde oft Vertrauen entgegengebracht und ich wurde häufig für die Mannschaft aufgestellt, weil ich mit meiner Leistung nie komplett abfalle. Was das Einzel betrifft, war ich leider nie in der Situation – denn abgesehen von der Saison, als ich Tourneedritter wurde, hatte ich diese Möglichkeiten nicht. Aber ich konnte die Situation eigentlich immer genießen, dass ich nicht so sehr gefragt war. Umso mehr freue ich mich, dass mich die Leute in dieser Saison wahrnehmen.

Wenn die Karriere im kommenden Jahr endet: Hast du schon konkretere Pläne für dein Leben nach der Skisprungkarriere?

Neumayer: Definitiv. Ich habe eine Lehre als Steuerfachangestellter, habe ein Studium mit Schwerpunkt Steuer- und Wirtschaftsrecht abgeschlossen und möchte in Richtung Steuerberatung tätig werden.

Eine Position im Sport als Trainer oder in einer anderen Funktion kannst du dir also nicht vorstellen?

Neumayer: Nein, definitiv nicht. Grundsätzlich würde es mich zwar interessieren, aber nun wird es Zeit für ein anderes Leben. Im Sportbereich ist man praktisch sehr viel unterwegs, man weiß häufig nicht, wie es im nächsten Jahr weitergeht. Ich sehe mehr Sinn in einem geregelten Beruf.

Du blickst aktuell dem Karriereende entgegen, ein noch älterer Skispringer fiebert dem Comeback entgegen: Traust du Janne Ahonen zu, dass er sich wieder erfolgreich im Skispringen zurückmeldet?

Neumayer: Janne Ahonen war jahrelang mein Idol. Er ist einer der weltbesten Skispringer aller Zeiten, der vor drei Jahren schon gezeigt hat, dass er wieder zurückkommen kann. Wenn er das Thema ernst angeht und sich dementsprechend anstrengt, wird er es auch packen. Es wird sicherlich nicht einfach, aber ihm ist es zuzutrauen.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die nächsten Wettkämpfe bei den Weltmeisterschaften!

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