DSV-Teammanager im Interview

Horst Hüttel über Erfolge, Verletzungssorgen und Corona

Horst Hüttel (rechts) gemeinsam mit Bundestrainer Stefan Horngacher. (Foto: imago)

Im skispringen.com-Interview blickt Horst Hüttel zurück auf die abgebrochene Weltcup-Saison und die schwere Verletzung von Stephan Leyhe. Der Teammanager der deutschen Nationalmannschaft spricht außerdem über Schwierigkeiten während der Saisonvorbereitung in der Corona-Krise.

Das Coronavirus hat die Saison der Skispringer abrupt beendet und sorgt auch weiterhin für Schwierigkeiten bei der Vorbereitung auf den anstehenden WM-Winter. Bei skispringen.com gibt Horst Hüttel Einblick in die aktuelle Situation rund um die deutschen Skispringer und wirft einen Blick zurück auf eine erfolgreiche Saison 2019/2020.

Herr Hüttel, vor zwei Wochen hätte die Saison mit der Skiflug-WM in Planica enden sollen. Doch die WM und ein Teil der „Raw Air“ in Norwegen wurden wegen des Coronavirus abgesagt. Wie fällt dennoch Ihr persönliches Resümee aus?

Horst Hüttel: In der Summe können wir mit der Saison natürlich sehr zufrieden sein. Wir hatten zwar bei den ersten Weltcups im November und Dezember ein paar Probleme, unsere Qualität auf die Schanze zu bringen, kamen jedoch Richtung Vierschanzentournee immer besser in Form. Das Auftaktspringen in Oberstdorf mit dem zweiten Platz von Karl Geiger war dann auch irgendwie eine gewisse Initialzündung für das gesamte Team. Von dort an begann das Selbstvertrauen im gesamten Team spürbar zu wachsen und die im Skispringen so notwendigen Automatismen griffen immer besser.

„Wir werden Stephan Leyhe bestmöglich unterstützen“

Was war für Sie persönlich in der zurückliegenden Saison aus deutscher Sicht das größte Highlight?

Hüttel: Gesamt gesehen sicher die Entwicklung und der zweite Platz im Gesamtweltcup von Karl Geiger. Wie er sich ein Stück weit von einem sehr guten Weltcupspringer zu einem Siegertypen und Leader entwickelt hat und auf welche Art und Weise und mit welcher Persönlichkeit er diesen Prozess durchschritten hat, war sehr beeindruckend zu beobachten. Er war schon in den Vorjahren sehr oft sehr gut, vor allem auch bei der WM 2019. Dennoch hatte er im Weltcup in den vier Jahren zuvor insgesamt drei Podiums und in dieser Saison stand er auf diesem elfmal und davon viermal ganz oben. So ein Entwicklungsschub eines Athleten passiert auch international im Weltcup nicht jedes Jahr und darauf kann er sehr, sehr stolz sein. Ganz speziell war auch der erste Weltcupsieg von Stephan Leyhe in seiner Heimat in Willingen. Zum einen ist der erste Weltcupsieg für einen Athleten natürlich immer etwas ganz Besonderes, egal wo und unter welchen Umständen dies passiert. Wenn so etwas jedoch dann in deiner Heimatstadt passiert, wo 25.000 Zuschauer, die Familie, Freunde, der gesamte verrückte Club alle irgendwo danach lechzen, dann löst so etwas schon besondere Emotionen aus.

Stephan Leyhe hat sich ja beim letzten Sprung der Saison schwer verletzt und das Kreuzband gerissen. Wie geht es ihm mittlerweile?

Hüttel: Stephan wurde in Abstimmung mit unserem Teamarzt Dr. Mark Dorfmüller bei Dr. Manuel Koehne in München operiert. Die OP verlief sehr gut und er ist mittlerweile wieder zu Hause. Er hat vor ein paar Tagen einen Post mit einem T-Shirt mit „Comeback stronger“-Aufdruck losgeschickt und das ist auch die beste Reaktion, die man in so einer Situation zeigen kann. Wir werden ihn von allen Seiten bestmöglich unterstützen und ich hoffe sehr, dass er bald in die Reha einsteigen kann und wir ihn im nächsten Winter wieder auf der Schanze sehen werden.

„Diskussionen um Corona und die abrupt beendete Saison im Vordergrund“

Aber mit zwei Athleten alleine gewinnt man nicht den Nationencup. Worauf führen Sie tolle Entwicklung des restlichen Teams zurück?

Hüttel: Grundsätzlich muss man sagen, hat sich die Qualität des Teams schon in den letzten Jahren Stück für Stück weiterentwickelt. Es haben in den letzten elf Jahren zehn unterschiedliche Athleten den Sprung auf das Weltcuppodium geschafft – dies ist keiner anderen Nation gelungen. In der zurückliegenden Saison war es mit Constantin Schmid unser Jüngster im Team. Es ist Stefan Horngacher und seinem Team sehr gut gelungen, einerseits eine gewisse Skisprungphilosophie, Einheitlichkeit und Geradlinigkeit vorzuleben und auch einzufordern, und andererseits wurden auch individuelle Freiheiten und Rahmenbedingungen zugelassen. Darüber hinaus sehe ich noch einen Punkt, der sich für manche vielleicht banal anhört: Das war die Atmosphäre und spürbare Freude im Team. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass die Athleten mit unglaublicher Freude zu den Lehrgängen und Wettkämpfen anreisen und so haben sie dann auch vor Ort agiert. Es wurde enorm viel gelacht und der tolle Zusammenhalt war auch für außenstehende Personen auffallend. Das mag für manche banal klingen, ist es aber nicht.

In der vergangenen Woche fand die Cheftrainersitzung des DSV statt. Sicherlich stand dabei auch die aktuelle Situation im Fokus. Wie wirkt sich die Corona-Krise auf den Verband aus?

Hüttel: Natürlich haben die Diskussionen um Corona und die abrupt beendete Saison die Diskussionen bestimmt. Von den Verantwortlichen und vom Vorstand wird es aber so eingeschätzt, dass der Skisport in Deutschland einerseits mit einem blauen Auge davongekommen ist. Wir konnten fast alle Weltcups durchführen, dadurch konnten wir unseren Verträgen mit den TV-Partnern entsprechen. Es gab zwar ein paar Ausfälle, aber dafür gibt es Versicherungen. Von dieser Seite sieht sich der Verband gut aufgestellt.

„Die Top-Athleten haben sich mit der Situation arrangiert“

Noch ist ungewiss, ob der Sommer-Grand-Prix stattfinden kann. Wie können sich die deutschen Skispringer aktuell dennoch auf die anstehende WM-Saison vorbereiten?

Hüttel: Das physische Training läuft zwar mit gewissen Schwierigkeiten und Hindernissen, aber dennoch kontinuierlich. Die Top-Athleten haben sich mit der Situation arrangiert und trainieren in eigenen Lokalitäten. Es wird dabei viel über Webkonferenzen mit den Trainern gesprochen, die Kommunikation läuft auf Hochtouren und der Trainingsausfall hält sich in Grenzen. Wann die ersten Sprünge gemacht werden können, ist in der aktuellen Situation aber noch nicht abzusehen. Hinzu kommt, dass sich die Mattenbelegung in Oberstdorf nach dem Umbau im letzten Jahr leider verzögert, weil die zuständigen Firmen in der aktuellen Situation nicht wie geplant arbeiten können. Dadurch wird sich auch der Trainingsbeginn auf der WM-Schanze verzögern.

Im Sommer stoßen dann auch die zuletzt verletzten Athleten Andreas Wellinger, David Siegel und hoffentlich wieder formstärkere Athleten wie Richard Freitag und Severin Freund zum Team. Rechnen Sie mit einem größeren Konkurrenzkampf um die Startplätze im Weltcup?

Hüttel: Ja, das hoffe ich und wenn es so kommt, dann ist das für uns eine privilegierte Situation und spricht für unser System. Ein Stück weit arbeitet man als Verband ja auf so eine Situation hin, wenn man ehrlich ist. Ja, es kann durchaus sein, dass es im kommenden Winter schwerer wird, einen Weltcup-Startplatz zu erkämpfen wie dies in den Vorjahren der Fall war. Doch warten wir erst einmal ab und hoffen, dass wir alle gesund durch den Sommer kommen. Gerade durch diesen.

Vielen Dank für das Gespräch und bleiben Sie gesund!

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Über Marco Ries 869 Artikel
Inhaber und Chefredakteur von skispringen.com. Hat sich nach der Jahrtausendwende am Skisprungfieber anstecken lassen und 2009 dieses Angebot gegründet. Studiert an der Universität Heidelberg und arbeitet nicht nur im Winter als freier Journalist und Autor (u.a. das Buch „Unnützes Skisprungwissen“).

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