Das war die Saison der Skispringerinnen

Tops & Flops: Weit mehr als Maren Lundby versus Chiara Hölzl

Ebenso wie ihre männlichen Kollegen wurden die Skispringerinnen in der Endphase ihrer Weltcup-Saison jäh gestoppt. Umso wertvoller nun: Die Tops & Flops von skispringen.com.

Man kommt nicht umhin, auch die Weltcup-Saison 2019/2020 der Skispringerinnen mit dem Begriff Coronavirus zu assoziieren. Zu gravierend waren dessen Auswirkungen auch auf die wichtigste Wettkampfserie, fielen doch satte fünf der 21 Wettkämpfe der Pandemie zum Opfer. Die gute Nachricht ist jedoch: Bislang ist kein einziger Corona-Fall innerhalb der Skisprungfamilie bekannt. Auch deshalb kann skispringen.com guten Gewissens auf die Tops & Flops schauen.

Der größte Gewinner dieser Saison ist zunächst mal der Sport. Denn ungeachtet aller schlechten Nachrichten und auch Widerstände, mit denen sich die Damen auseinandersetzen mussten, ist die Wertigkeit des Wettbewerbs erneut angestiegen. 102 Springerinnen aus 19 verschiedenen Nationen nahmen an mindestens einem Weltcupspringen teil (beides Rekord), 52 von ihnen holten Punkte. Und das in einer Saison, in der zehn der 16 Springen auf der Großschanze stattfanden.

Lundby versus Hölzl: Das Duell, das elektrisierte

Eines war vor der Saison klar: Der Gesamtweltcupsieg wird nur über Maren Lundby gehen. Qua ihrer Dominanz in den vergangenen beiden Saisons, aber auch ihrer selbst auferlegten Mission: Die Kristallkugel zum dritten Mal in Folge zu gewinnen, was zuvor nur einem gewissen Adam Malysz gelungen war. Nicht einmal Sara Takanashi, von der noch die Rede sein wird, hatte das geschafft. Doch Lundby tat es. Indem sie ein bemerkenswertes Duell für sich entschied.

Vom Start auf der Heimschanze in Lillehammer bis zum Weltcup in Rasnov, bis dato Lundby-Land, war die Norwegerin im Gelben Trikot, ehe Chiara Hölzl ihr das Leibchen zum ersten Mal abluchste. Doch die Olympiasiegerin schlug noch am Folgetag zurück und reiste als Weltcupführende nach Oberstdorf. Dort flog Hölzl jedoch allen davon und zurück an die Spitze. Über einen Monat sollte ihre Führung Bestand haben, bis der Weltmeisterin ein bemerkenswerter zweiter Turnaround gelang.

Dass Maren Lundby den Weltcup schlussendlich mit 1220 zu 1155 Punkten für sich entschied, mag man mit dem Heimvorteil erklären, schließlich wurde sie in Lillehammer Zweite und gewann dann das letzte Springen auf denkbar kuriose Art und Weise (Cliffhanger Nummer zwei). Doch den eigentlichen Grundstein legte sie schon 17 Tage zuvor, indem sie in Ljubno gewann und ihre fast einmonatige Durststrecke ohne Sieg beendete. Sie war wieder die Beste, als es drauf ankam.

ÖSV-Damen überrollen Konkurrenz

Für Chiara Hölzl blieb die endgültige Krönung einer famosen Saison also aus, das soll ihre Leistung jedoch keineswegs schmälern. Mit sechs Tageserfolgen steht sie an der Spitze dieser Statistik und war gemeinsam mit der Gesamtweltcupdritten Eva Pinkelnig (1029 Punkte) auch der Antrieb für Lundbys Leistungen. Indes stellten die beiden Österreicherinnen das erfolgreichste Doppelzimmer des Winters. Mehr noch: Mit zusammengerechnet 2184 Punkten wären sie allein auf Platz drei des Nationenrankings gelandet.

So waren sie zwei wesentliche Bestandteile des rekordverdächtigen Triumphs der Österreicherinnen in dieser Wertung. Veteranin Daniela Iraschko-Stolz darf dabei ebenso wenig vergessen werden. Allein, weil auch in der neunten Weltcupsaison mindestens einen Podestplatz einfahren konnte. Und dann gab es da ja noch die dreifache Junioren-Weltmeisterin Marita Kramer, die in Sapporo zunächst noch einigermaßen überraschend siegte, dann aber mit Platz drei in Oberstdorf und insgesamt neun Top-Ten-Plätzen bewies, dass das kein Zufall war.

Norwegen: Mehr als bloß Maren Lundby

4457 Punkte holten die Österreicherinnen schlussendlich und damit mehr als doppelt so viele wie die nächste Nation. So erdrückend die Dominanz der ÖSV-Damen für den Rest der Skisprungwelt auch war, so hatten insbesondere die Norwegerinnen, die überraschend auf Platz zwei im Nationencup abschlossen, ihre helle Freude. Denn in beiden Teamspringen sprangen sie als Dritte auf das Podest und sammelten wertvolle Punkte. Dazu legten Silje Opseth (neun Mal in den Top Ten) und Anna Odine Stroem (Neunte in Zao) gut nach.

Und gerade Opseth war auf dem besten Wege die beste Saison ihrer Karriere zu veredeln, erlebte dann aber ein denkwürdiges Saisonende. Beim letzten Springen in Lillehammer wurde die 20-Jährige bereits zur Siegerin erklärt und lag sich mit den Teamkolleginnen freudetrunken in den Armen. Kein Wunder, es wäre ihr erster Weltcupsieg gewesen. Doch eine halbe Stunde später stellte sich heraus: Die Jury hatte sich verrechnet und eine Anlaufverkürzung für Maren Lundby schlicht vergessen – eine Verkürzung aus dem ersten Durchgang wohlgemerkt. Am Ende konnte sich keine der beiden freuen, verständlicherweise.

Takanashi bricht Schallmauer

Die Zahl 100 hat große Wirkung, sie ist beeindruckend. Und so ist sie es nun auch in der Karriere von Sara Takanashi, die mit Abschluss der Saison 2019/2020 nun bei sage und schreibe 100 Podestplätzen im Weltcup steht. Mehr hat übrigens nur ein gewisser Janne Ahonen, der seine großartige Karriere mit 108 Stockerlplätzen beendete. Doch bis die Japanerin bei dieser Zahl anlangen sollte, hatte sie eine dunkle Serie zu überstehen.

Seit dem 17. Januar, ihrem zweiten Platz in Zao, stand die 23-Jährige bei 99 Podestplätzen und alle Beobachter waren sich einig, es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis die Schallmauer von 100 fällt. Doch es dauerte bis zum 9. März und da zwischen lagen fünf vierte Plätze. Umso schöner natürlich, dass der 100. Podestplatz auch der 57. Weltcupsieg war, was eh Rekord ist. Doch ansonsten gab es für das japanische Team nicht viel zu bejubeln. Yuki Ito gab im Saisonverlauf weiter Rätsel auf, einzig Nozomi Maruyama, die hinter Ito auf Platz 13 im Gesamtweltcup landete, war mit vier Top-Ten-Plätzen ein Lichtblick.

Gemischte Gefühle im DSV-Team

Auch im deutschen Team wurde im Saisonverlauf mehr gehadert als gejubelt. Die Bilanz fällt nüchtern aus: Das Saisonziel, in jedem Springen um das Podest mitkämpfen zu wollen, wurde nicht erreicht. Mehr noch: Einzig Katharina Althaus stand zwei Mal (Dritte in Klingenthal und Zweite in Rasnov) auf dem Treppchen. Platz fünf im Gesamtweltcup ist, ebenso wie Rang elf von Juliane Seyfarth, in einer Saison ohne Großereignis und ohne drei verletzte Mannschaftskolleginnen noch hinnehmbar.

Wirklich gut geschlagen hat sich nach ihrem Comeback Luisa Görlich. Die Thüringerin sprang erstmals eine komplette Weltcupsaison durch und schloss als 20. des Gesamtweltcups ab. Lediglich drei Mal verpasste sie die Punkteränge, fuhr aber als Zehnte in Zao ihr bestes Weltcupergebnis ein. Auch Selina Freitag und Agnes Reisch machten ihre Punkte, solange der Sprit im Tank ausreichte. Svenja Würth hatte zwar ebenso ihre Formdellen, muss sich als 24. jedoch nicht verstecken.

Italien, Polen und Co.: Die Kleinen werden groß

Verstecken müssen sich auch die (vermeintlich) kleinen Teams im Damen-Skispringen schon längst nicht mehr. Ganz vorn zu nennen sind dort die Italienerinnen, allen voran Lara Malsiner. Die nun zweifache Bronzemedaillengewinnerin bei Junioren-Weltmeisterschaften sprang in Hinzenbach erstmals auf das Podest und bestätigte mit Platz 18 im Gesamtweltcup ihre gute Vorsaison. So ganz nebenbei schrieb sie mit ihren Schwestern Manuela und Jessica Geschichte, denn sie wurden das erste Schwester-Trio, das in einem Einzel- und auch Teamspringen am Start war.

Und auch aus Polen gibt es (endlich) gute Nachrichten: Die erstmalige Berufung eines Nationalteams im Sommer mitsamt der Verpflichtung von Star-Trainer Lukasz Kruczek hat sich voll ausgezahlt. Allen voran Kinga Rajda machte große Schritte nach vorne und darf sich nach ihrem sensationellen sechsten Platz in Oberstdorf nun erfolgreichste polnische Skispringerin aller Zeiten nennen. Dieses Ergebnis ging angesichts der Leistungen von Chiara Hölzl und Marita Kramer an jenem Tag etwas unter.

Ebenso erfreulich notierte man die 21 gesammelten Punkte von Xueyao Li aus China, auch wenn es die letzten 21 Zähler unter der Leitung von Heinz Kuttin waren. Der Österreicher wurde von seinem Amt entbunden – keine zwei Jahre vor den Olympischen Spielen in Beijing. Mit Guylim Park aus Korea sprang eine weitere Asiatin in die Punkte. Historisches schafften jedoch Astrid Norstedt (drei Punkte) und Virag Vörös (zwölf), die die ersten Weltcuppunkte für Schweden und Ungarn holten.

Immer wieder das Knie: Das Lazarett vor Oberstdorf 2021

Doch mit Letztgenannter stoßen wir unweigerlich auf einen unangenehmen, um nicht zu sagen schmerzhaften, Themenkomplex: Die Knieverletzungen im Skispringen. Ganze sieben Kreuzbandrisse erlitten Skispringerinnen seit Saisonbeginn, so viele wie in noch keiner anderen Saison zuvor.

Nur zwei dieser Springerinnen kehrten im Saisonverlauf zurück, doch mit Ramona Straub befindet sich sogar noch eine Verletzte aus der Vorsaison in der Reha. Für sie und Teamkollegin Gianina Ernst, wie auch Vörös und Jacqueline Seifriedsberger, die sich in Lilehammer verletzten, aber auch Giada Tomaselli (Italien) und Kamila Karpiel (Polen) ist es bereits diese Art Verletzung. Und, wie schon in der Herren-Analyse festgehalten: So kann und darf es nicht weitergehen.

Klar hat beispielsweise Ema Klinec, die in Klingenthal Zweite und als Achte zweitbeste Slowenin im Gesamtweltcup hinter Nika Kriznar wurde, gezeigt, dass man das alte Leistungsniveau auch nach zwei Kreuzbandrissen wieder erreichen kann. Doch der beschwerliche und schmerzhafte Weg dorthin sollte vermieden werden. Daran sollte auch der Internationale Skiverband ein Interesse haben.

Denn nur fitte Springerinnen helfen dem Sport, das Niveau noch weiter zu steigern. Wie indes auch ein Großschanzenspringen im Rahmen der WM 2021, für das es nur noch eine Abstimmung bedarf. Passiert dies nicht, geht Oberstdorf als jener Ausrichter in die Geschichte ein, der eine WM-Generalprobe auf einer Groß- und das WM-Springen lediglich auf der Normalschanze stattfinden ließ. Das sähe schlecht aus.

Auch interessant: Gibt es 2021 bereits das erste Skifliegen für die Damen?

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Über Luis Holuch 517 Artikel
Seit 2010 als Journalist tätig und hat 2017 sein erstes Buch veröffentlicht. Wie es die Leidenschaft wollte, ging es darin um das Damen-Skispringen. Genau dafür ist er bei skispringen.com auch primär zuständig. Kommentierte den offiziellen Live-Stream der Junioren-WM 2020, sowie die FIS-Classics-Serie und die Continentalcup-Finals der Nordischen Kombination.

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